Prozessualer Realismus

„Für Kunstschaffende ist der Prozessuale Realismus eine Möglichkeit, die wahrgenommenen, empfundenen, gedachten und erlebten Erscheinungsformen im Zusammenhang mit einem konstruierbaren Kontext und einer bestimmten Bildstruktur zu einer Bilderzählung werden zu lassen.

Den Prozessualen Realismus als Betrachter:in in gleicher Weise wie als Maler:in zu erleben, ist insofern nicht möglich, als er für die Maler:innen ein Schaffensprozess ist, der nicht nur die bisherigen Erfahrungen und die damit verbundenen Erkenntnisse in das Werk einbringt, sondern als Manifest der unmittelbaren Erfahrungen infolge des unvorhersehbaren Malprozesses zu sehen ist. Für die Betrachter:innen, dessen Dechiffrierung des Wahrgenommenen an die Erfahrungen und Erkenntnisse vormaliger Betrachtungen gebunden ist, ergibt sich dadurch eine andere Wirklichkeit, weil sich ihnen die Relativität der sinnlichen Wahrnehmung verschließt. Aus der Sicht der Betrachter:innen können Bilder des Prozessualen Realismus demnach nicht nachempfunden werden, sondern auf individuelle Weise erlebt werden.

Der Prozessuale Realismus macht sich auch die Unschärfe zunutze, die wir im Allgemeinen zwar als verschwommenen Informationsgehalt kennen, der Unbestimmbarkeit beim den Betrachter:innen auslöst, aber damit eine Unschärfe meint, in der das Wahrgenommene im Detail erkannt wird, jedoch das Gesamte einen schlüssigen Kontext verweigert.
Künstler:innen des Prozessualen Realismus bedienen sich all dieser angeführten Möglichkeiten immer aus der Position des Erreichten, die sie vor eine weitgehend unvorbereitete Situation stellen und in der Folge Neuland betreten lassen. Die Erkenntnis ist nicht nur die Bewältigungserfahrung, sondern auch das Wissen, sich immer wieder in den Wahrnehmungs- und Umsetzungsprozess mit neuem Gestaltungsvokabular einbringen zu können.“

Luka Anticevic (*1946 +2021)

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