Prozessualer Realismus
Freie Akademie der Künste
„Für den Kunstschaffenden ist der Prozessuale Realismus eine Möglichkeit, die wahrgenommenen, empfundenen, gedachten und erlebten Erscheinungsformen im Zusammenhang mit einem konstruierbaren Kontext und einer bestimmten Bildstruktur zu einer Bilderzählung werden zu lassen.
Den Prozessualen Realismus als Betrachter in gleicher Weise wie der Maler zu erleben, ist insofern nicht möglich, als er für den Maler ein Schaffensprozess ist, der nicht die bisherigen Erfahrungen und die damit verbundenen Erkenntnisse in das Werk einbringt, sondern als Manifest der unmittelbaren Erfahrungen infolge des unvorhersehbaren Malprozesses zu sehen ist.
Für den Betrachter, dessen Dechiffrierung des Wahrgenommenen an die Erfahrungen und Erkenntnisse vormaliger Betrachtungen gebunden ist, ergibt sich dadurch eine andere Wirklichkeit, weil sich ihm die Relativität der sinnlichen Wahrnehmung verschließt.
Aus der Sicht des Betrachters können Bilder des Prozessualen Realismus demnach nicht nachempfunden werden, sondern auf individuelle Weise erlebt werden.
Der Prozessuale Realismus macht sich auch die Unschärfe zunutze, die wir im Allgemeinen zwar als verschwommenen Informationsgehalt kennen, der Unbestimmbarkeit beim Betrachter auslöst, aber damit eine Unschärfe meint, in der das Wahrgenommene im Detail erkannt wird, jedoch das Gesamte einen schlüssigen Kontext verweigert.
Der Künstler des Prozessualen Realismus bedient sich all dieser angeführten Möglichkeiten immer aus der Position des Erreichten, die ihn vor eine weitgehend unvorbereitete Situation stellt und in der Folge Neuland betreten lässt. Die Erkenntnis ist nicht nur die Bewältigungserfahrung, sondern auch das Wissen, sich immer wieder in den Wahrnehmungs- und Umsetzungsprozess mit neuem Gestaltungsvokabular einbringen zu können.“
Luka Anticevic